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09.06.2022

Von der Energiewende zum Nachhaltigkeitskannibalismus

Ein Beitrag von Prof. Dr. Niko Paech

Was aber, wenn sich die grüne Fortschrittspropaganda, mit der die Wählerschaft bei Laune gehalten werden soll, als Budenzauber entpuppt...?

Wie hätte die Notwendigkeit umfassenden Klimaschutzes je anders begründet werden können als damit, dass nur so die absehbar größte Gefahrenquelle für essentielle Naturgüter, von denen das Überleben der Menschheit abhängt, abzuwenden sei. Mittlerweile wird aber immer mehr Natur zerstört, um den immensen Raumbedarf einer technologiebasierten Klimaschutzstrategie zu befriedigen. Deren Befürworter und Nutznießer verneinen dieses Dilemma, indem sie darauf verweisen, dass auch Biotope, Landschaften, Pflanzen und Tiere nur überleben könnten, wenn der drohende Temperaturanstieg verhindert würde. Aber wenn das derzeitige Energieverbrauchsniveau auf Basis erneuerbarer Energieträger erreicht werden soll, ist nicht auszuschließen, dass der benötigte Raumbedarf für Windkraftanlagen, Übertragungsnetze, Speicherkapazitäten und infrastrukturelle Voraussetzungen das meiste von dem zerstört, was vormals Natur hieß.

Expansiver technischer Klimaschutz birgt das Risiko, langfristig zu zerstören, was er zu schützen vorgibt. Er beruht darauf, Umweltprobleme nicht wirklich zu lösen, sondern in eine andere physische, zeitliche oder räumliche Dimension zu verlagern. Bislang ist es mit Ausnahme singulärer, kaum verallgemeinerbarer Fälle nie gelungen, ein Umweltproblem technisch zu lösen, zumindest bei ganzheitlicher Betrachtung aller umweltrelevanten (Neben-) Wirkungen der dabei eingesetzten Mittel. Unter Rückgriff auf das Entropie-Gesetz lässt sich die technische Entwicklung menschlicher Zivilisationen in verallgemeinerter Form rekonstruieren: Technischer Fortschritt bewirkt, innerhalb physischer Sachverhalte punktuell eine andere oder neue Ordnung zu erschaffen. Ganz gleich ob Faustkeil, Kraftwerk, Auto, Medikament, Halbleiter-Chip oder Windturbine. Dieses Mehr an physischer Ordnung erweitert menschliche Handlungsmöglichkeiten, ist aber nur zum Preis einer erhöhten Unordnung des Gesamtsystems zu haben. Solange die Gesetze der Thermodynamik gelten, lassen sich auf einem endlichen Planeten keine neuen materiellen Freiheiten aus dem Nichts schöpfen. Auch nicht mittels erneuerbarer Energieträger.

Während die Nebenwirkungen grüner Innovationen in der wissenschaftlichen und politischen Debatte bagatellisiert werden, wird deren Effektivität hymnisch überbewertet. Die deutsche Energiewende als das vermutlich ehrgeizigste je ersonnene Entkopplungs- und somit Green Growth-Programm beschränkt sich darauf, das Elektrizitätssystem zu transformieren. Zugleich sollen damit die Klimaschutzbeiträge aller anderen Sektoren, in denen sogar steigende Stromverbräuche prognostiziert werden (insbesondere in der Mobilität und Digitalisierung), mit abgedeckt werden. Dies setzt voraus, immer mehr Leistungsprozesse und Verbräuche zu elektrifizieren, damit sie technologisch anschlussfähig an eine Energiewende werden, die auf erneuerbaren Ressourcen basiert.

Indes trübt das Zauberwort „erneuerbar“ jeden vernunftgeleiteten Blick auf die Limitationen der damit etikettierten Energieträger. Beispielsweise Wind – von dem als ergiebigste der erneuerbaren Energiequellen alle grünen Wachstumspläne auf Gedeih und Verderb abhängen – ist eine knappe Ressource. Wind unterliegt innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts und geographischen Raumes diversen Verwendungskonkurrenzen. Erstens: Je geringer der Abstand zwischen Windkraftanlagen und je größer deren Kapazitäten sind, desto geringer ist die durchschnittliche Ausbeute, weil die von einer Anlage abgeschöpfte Bewegungsenergie für die anderen nicht mehr verfügbar ist.[1] Zweitens: Die von den Rotoren verbrauchte Windenergie ist nicht mehr für die Entstehung von Regenwolken verfügbar. Durch diesen und weitere physische Effekte beeinflussen Windkraftanlagen das Klima, wie neue Studien aus den USA zeigen.[2] Dies kann zu Temperaturerhöhungen und Trockenheit für einzelne, davon betroffene Regionen führen. Drittens: Flora, Fauna und unzählige ökologische Prozesse beruhen je nach geographischer Lage auf einem bestimmten Windaufkommen. Wie sich der Entzug systemimmanenter Bewegungsenergie auswirkt, scheint weitgehend vernachlässigt und unerforscht zu sein. Jedenfalls ist die Gleichung „erneuerbar = unbegrenzt = ökologisch“ schlicht unzutreffend.

Die momentane Klimaschutzstrategie der Bundesregierung folgt einer Logik, die sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte als Wesenszug des Parlamentarismus herausbilden konnte: Parteien setzen einer ruinösen Lebensweise nicht nur keine Grenzen, sondern überbieten sich im Geschenkeverteilen. Sie stellen jede Nachhaltigkeitspolitik unter den Vorbehalt, das Wohlstandsmodell – ganz gleich auf welcher zwischenzeitlich erreichten Höhe – bedingungslos zu schützen. Daraus folgt, dass keine Veränderungen im Konsum, in der Wohnraumnutzung, in der Mobilität oder im digitalen Komfort zur Debatte stehen, sondern allein eine technizistische Entkopplungsutopie, an die sich jegliche Verantwortung bequem abwälzen lässt.

Was aber, wenn sich die grüne Fortschrittspropaganda, mit der die Wählerschaft bei Laune gehalten werden soll, als Budenzauber entpuppt, etwa weil die Leistungsfähigkeit der grünen Technologien maßlos überschätzt werden, akzeptable Substitute undenkbar sind oder Rebound-Effekte überhandnehmen? Wie sich an einschlägigen Begebenheiten und Tendenzen nachzeichnen lässt, haben sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft durch das Festhalten am grünen Wachstumsdogma in eine Situation manövriert, die ihnen abverlangt, das Wohlstandsversprechen, nötigenfalls auch mit geradezu bizarren Folgen zu erfüllen.

So drohen die über Jahre hinweg geleugneten Konflikte der Windenergie mit Naturschutz- und Biodiversitätsbelangen inzwischen derart zu eskalieren, dass die Spitze der Partei „Die Grünen“ (noch vor der Regierungsbildung) mit dem mitgliederstärksten Umweltverband (NABU) eine Vereinbarung getroffen hat, die den beschleunigten Ausbau entgegen bisheriger Naturschutzregelungen sicherstellen soll.[3] Ähnliche Bestrebungen der neuen Bundesregierung zielen darauf, die europäischen Rechtsgrundlagen des Naturschutzes anzugreifen, um die Nachindustrialisierung der Landschaften zu intensivieren.[4]

Indes zeichnet sich ab, dass der Generalangriff auf die letzten Naturareale nicht einmal hinreichend sein kann, um den infolge der Digitalisierung und Elektromobilität prägnant wachsenden Energie- und damit Flächenhunger zu stillen. Mittlerweile beginnen hochrangige Protagonisten der deutschen Energiewende, die Öffentlichkeit sanft darauf einzustimmen, dass die Vorwärtsverteidigung des deutschen Lebensstils – wohlgemerkt mit „grünen“ Mitteln – erfordert, auf die Flächen des globalen Südens zuzugreifen. Dies hieße, auch dort massiert Windkraft- und Solaranlagen zu projektieren, zudem eine Industrie zur Produktion von Wasserstoff aus dem Boden zu stampfen und eine globale Logistik für dessen Transport nach Europa aufzubauen.[5] Natürlich wird dieser neue, nunmehr ökologische Kolonialismus als großherzige Entwicklungspolitik schöngeredet.

Wenn es unmöglich ist, industriellen Wohlstand mittels nachhaltiger Ersatzlösungen von Schäden zu entkoppeln, folgen daraus mindestens zwei Konsequenzen. Erstens, von Menschen erschaffene Artefakte per se in „gut“ oder „schlecht“ bzw. nachhaltig oder nicht nachhaltig unterteilen zu wollen, läuft ins Leere. Windkraftanlagen mögen „besser“ als Kohlekraftwerke sein, aber eben nur graduell, bezogen auf lediglich eine isoliert betrachtete Schadensdimension und abhängig von der quantitativen Dimension des Ausbaus. Die Windenergienutzung unabhängig von ihrer Dosis als „nachhaltig“ zu bezeichnen, wäre daher als grundfalsch zurückzuweisen. Zweitens, als nachhaltig können nur Lebensführungen beurteilt werden, nämlich unter Berücksichtigung aller ökologisch relevanten Handlungen, die von einer Person ausgeführt werden. Wenn der Planet erstens physisch begrenzt ist, zweitens alle produzieren Güter, auch vermeintlich nachhaltige, eine physische Spur hinterlassen, drittens die irdischen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und viertens globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine Obergrenze für die von einem einzelnen Individuum in Anspruch genommene materielle Freiheit existieren. Am Rückbau überzogener Ansprüche und nicht dem Ausbau einer vermeintlich grünen Industrie müsste Klimaschutz ansetzen, der nachhaltig ist.

Niko Paech ist apl. Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen und einer der bedeutendsten deutschen Wachstumskritiker. Außerdem gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat der Naturschutzinitiative (NI) an.

 


[1] Vgl. Akhtar, Naveed, Beate Geyer, Burkhardt Rockel, Philipp S. Sommer und Corinna Schrum (2021): Accelerating deployment of ofshore wind energy alter wind climate and reduce future power generation potentials. Scientific Reports 11, 11826 (https://doi.org/10.1038/s41598-021-91283-3).

[2] Vgl. Miller, Lee M. und David W. Keith (2018): Climatic Impacts of Wind Power. Joule 2/12, S. 2618-2632. (https://www.cell.com/joule/fulltext/S2542-4351(18)30446-X?_returnURL=https%3A%2F%2Flinkinghub.elsevier. com%2Fretrieve%2Fpii%2FS254243511830446X%3Fshowall%3Dtrue); Miller, Lee M Nathaniel A. Brunsellb, David B. Mechemb, Fabian Gans, Andrew J. Monaghan, Robert Vautard, David W. Keith und Axel Kleidon (2015): Two methods for estimating limits to large-scale wind power generation, in: PNAS, 112/36, S. 11169–11174 (https://www.pnas.org/content/112/36/11169); Miller, Lee M., Fabian Gans und Axel Kleidon (2011): Estimating maximum global land surface wind power extractability and associated climatic consequences, in: Earth Syst. Dynam 2, S. 1–12. (https://esd.copernicus.org/articles/2/1/2011/esd-2-1-2011.pdf); Armstrong, Alona, Ralph R Burton, Susan E Lee, Stephen Mobbs, Nicholas Ostle, Victoria Smith, Susan Waldron und Jeanette Whitaker (2016): Ground-level climate at a peatland wind farm in Scotland is affected by wind turbine operation, in: Environmental Research Letters, 11/4, S. 1-9. (https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/11/4/044024/pdf)

[3] Vgl. https://www.riffreporter.de/de/umwelt/nabu-gruene-streit-um-windenergie

[4] Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/article235568558/Habecks-Ministerium-will-auf-Entschaerfung-von-EU-Naturschutzrichtlinien-hinwirken.html

[5] Vgl. https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/woher-soll-der-gruene-wasserstoff-kommen.html


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